Wie meinen?

Wie meinen?

Erschienen am Montag, 29. Juni 2020

Es ist vollbracht: Andreas Voßkule, der bisherige Präsident des Bundesverfassungsgerichts, ist offiziell von Herrn Steinmeier verabschiedet worden. Im Schloss Bellevue überreichte dieser ihm seine Entlassungsurkunde und verlieh ihm das Großkreuz des Verdienstordens der Bundesrepublik.

Da fragt man sich schon: Wofür eigentlich? Dass Herr Voßkuhle seinen Job gemacht hat? Das tun andere auch. Herr Voßkuhle ist ein Sprüchemacher. Sagte er doch in einem Interview mit der Berliner Morgenpost vom 22.5.2013: „Wenn wir uns über Jahre mit einer Materie beschäftigen, tun wir das in einer Tiefe, die sich die meisten Beobachter nicht annähernd vorstellen können.“
Soweit scheint es mit der Tiefe doch nicht geklappt zu haben. Denn im sogenannten Rentenurteil, nach dem Beamte gegenüber Pflichtversicherten steuerlich-finanziell benachteiligt werden, also in der Entscheidung 2 BvL 17/99 vom 6. März 2002, war sein Gericht nicht imstande, richtig aus den von ihm selbst angegebenen Quellen zu zitieren, von anderen Fehlern mal ganz zu schweigen. Und dass Pflichtversicherte bereits in ihrer Aktivzeit steuerlich-finanzielle Nachteile haben, hat niemand im Bundesverfassungsgericht bemerkt.

Nehmen den ganz einfachen Fall: Beamte sind von Beiträgen zur Rentenversicherung (RV) und Arbeitslosenversicherung (AlV) befreit. Ein dem Pflichtversicherten äquivalenter Beamter bezieht dessen Lohn abzüglich der Beiträge zur RV und AlV. In seiner Aktivzeit entsteht dem Pflichtversicherten gegenüber einem Beamten durch die Entrichtung einer höheren Steuer auf den Bruttolohn ein Progressionsnachteil. Um das zu erkennen, reichte der Tiefgang des Bundesverfassungsgerichtes also nicht.

Bis 1982 bezogen Beamte und Pflichtversicherte einen gleichhohen Steuernachlass auf bestimmte Versicherungen, die Vorsorgepauschale (VSP). Ab 1983 erhielten Beamte die gekürzte VSP. Wer also seine Arbeit als Pflichtversicherter vor 1983 aufnahm erhielt eine VSP wie ein Beamter, obwohl dieser von Abgaben an die RV und AlV befreit war. Auch nach der Kürzung bekam ein Beamter weiterhin eine höhere VSP als der Pflichtversicherte. In seiner Aktivzeit entstand dem Pflichtversicherten gegenüber einem Beamten auch ein VSP-Nachteil. Das hat das tiefdenkende Bundesverfassungsgericht leider nicht wahrgenommen.

Und dann gibt es noch einen steuerlich-finanziellen Nachteil von Pflichtversicherten während ihrer Aktivzeit, den das tiefdenkende Bundesverfassungsgericht auch nicht mitbekommen hat.
Die VSP steigt zunächst mit zunehmendem Lohn, erreicht ein Maximum und fällt dann auf einen Grenzwert ab. Der Durchschnittslohn (DL) findet sich etwa bei der Hälfte der Beitragsbemessungsgrenze (BBG) zur RV. Das Maximum der VSP wird erreicht bei ca. der Hälfte des DL. Das Maximum der VSP liegt also bei etwa einem Viertel der BBG. Ein Pflichtversicherter, dessen Lohn über der BBG zur RV liegt, entrichtet gegenüber einem Pflichtversicherten mit etwa einem Viertel der BBG ein Vielfaches an Beiträgen für 1.000 Euro Rente. Es entstand ihm also in meiner Aktivzeit auch ein Grundpreisnachteil.

Noch einmal: Wenn sich das Bundesverfassungsgericht über Jahre mit einer Materie beschäftigt, tut es das in einer Tiefe, die sich die meisten Beobachter nicht annähernd vorstellen können – sagt Herr Voßkuhle. Mag sein, aber für die drei obigen steuerlich-finanziellen Nachteile von Pflichtversicherten, hat die Tiefe nicht gereicht. Übrigens: Diese drei Nachteile werden niemals ausgeglichen.

Und da ist noch ein Punkt, der geht allerdings die Medien an. Der Respekt vor dem Bundesverfassungsgericht muss wohl bei einigen Medien sehr groß sein.
Da spricht der STERN, es gäbe einen Wechsel an der Spitze des höchsten deutschen Gerichts. Und die Legal Tribune Online macht das Bundesverfassungsgericht gleich zweimal zum höchsten deutschen Gericht.

Vielleicht hilft es einigen Journalisten, einen Blick in unser Grundgesetz zu werfen. Gemäß Artikel 95 Absatz 1 haben wir in Deutschland kein oberstes Gericht. Die Pläne zur Errichtung eines Obersten Bundesgerichtes, wie in der ursprünglichen Fassung des Grundgesetzes vorgesehen, wurden 1968 aufgegeben.