Altersarmut – viele Ratschläge, leider wenig Ahnung

Altersarmut – viele Ratschläge, leider wenig Ahnung

Erschienen am Montag, 10. Juli 2023

Jetzt merken sie es alle, die Sozialverbände, die Kommunen und sogar unsere Politiker. Es gibt tatsächlich Altersarmut. Da werden gute Ratschlage erteilt. Die meisten gehen leider an der Sache vorbei.

Zwei Beispiele: Das Bundesverfassungsgericht (heilig, heilig) hat in seiner Entscheidung 2 BvL 17/99 vom 6. März 2002 festgestellt, dass Beamte gegenüber Pflichtversicherten steuerlich benachteiligt werden. Das Gericht wies sogar daraufhin, dass Beamte ab 1983 nur eine gekürzte Vorsorgepauschale erhielten. So eine Vorsorgepauschale ist ein Steuernachlass, wenn Beiträge für bestimmte Versicherungen entrichtet werden. Also, bis 1982 erhielten Beamte eine gleich hohe Vorsorgepauschale, einen gleich hohen Steuernachlass, wie Pflichtversicherte, obwohl Beamte und Pensionäre von Abgaben zur Renten- und Arbeitslosenversicherung befreit sind. Auch nach der Kürzung 1983 erhielten Beamte immer noch eine höhere Vorsorgepauschale für jene Versicherungen, die sie mit Pflichtversicherten gemeinsam haben.
Da hilft kein Lamentieren. Da nützt nur eine Verfassungsbeschwerde.
Es sei denn, alle Nicht-Beamten sollen altersarm gemacht werden.

Ein anderes Beispiel: Der Gesetzgeber hat zweimal die von den Pflichtversicherten angesparten Mittel enteignet und niemals erstattet.
1917 betrug die Rücklage der Rentenversicherung rd. zehn Jahresausgaben, 1939 waren es ca. sieben Jahresausgaben. [D. Zöllner, Aspekte der Einkommensumverteilung bei der Finanzierung von Rentenversicherungssystemen, Soziale Sicherheit, Wien, Nr. 7/8 1986]
Sollen Pflichtversicherte doch zahlen, Hauptsache sie werden altersarm.

Überhaupt ist die Entscheidung 2 BvL 17/99 des Bundesverfassungsgerichts ausgesprochen fragwürdig. Die Daten für Renten, Pensionen, Haushalts- und zu versteuernde Zusatzeinkommen stehen zum größten Teil im Widerspruch zu den vom Gericht angegebenen Quellen oder zur Wirklichkeit.
Warum auch die wirklichen Daten verwenden? Das würde doch nur den Pflichtversicherten und Rentnern nützen, aber die sollen sie doch im Alter arm werden.

Im Jahr 2012 veröffentlichte die Deutsche Rentenversicherung eine Studie zum Thema Versicherungsfremde Leistungen. [VDR, Heft Nr.5, Versicherungsfremde Leistungen – sachgerecht finanzieren!] Danach betrugen diese im Jahr 2009 47,3 Mrd. Euro. Unter Einrechnung der Transferleistungen – also der Übernahme von Rentenleistungen der DDR durch die BRD – lag der Betrag sogar bei 70,7 Mrd. Euro. Die Bundeszuschüsse machten nur 57,3 Mrd. Euro aus. Die Differenz der Beiträge wurde den Beiträgen der Rentenversicherten entnommen.
Das hilft in Sachen Altersarmut ungemein.

In der Sachverständigenkommission haben weder der „Rentenpapst“ Bert Rürup noch der Präsident der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) Herbert Rische bemerkt, dass die Werte, die das Bundesverfassungsgericht verwendete, erheblich von jenen der Sachverständigenkommission abweichen. So erhielt ein lediger Rentner im Jahr 1996 nach den Annahmen des Bundesverfassungsgerichts 63.048 DM (ca. 32.236 Euro). [2 BvL 17/99 Rz. 104] Die Sachverständigenkommission kam im selben Zeitraum lediglich auf 23.411 Euro. [Information aus dem Internet vom 8.3.2015, Anlage 7/2]

Nachteile für die Pflichtversicherten werden geflissentlich übersehen:
Ein Vorsorgepauschale-Nachteil entsteht dem Pflichtversicherten dadurch, dass die ihm zur Verfügung stehende Vorsorgepauschale, d. h. der Steuerabzug für Vorsorgeaufwendungen, immer geringer war als die Vorsorgepauschale von Beamten – sogar nachdem die Vorsorgepauschale für Beamte 2003 gekürzt wurde. Und bei Pflichtversicherten erhöhen die Beiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung als Teil des besteuerten Lohns auch die Besteuerungsbasis. Sie bewirken eine höhere Steuer, also einen Progressionsnachteil. Darüber hinaus entsteht den Pflichtversicherten ein so genannter Grundpreis-Nachteil dadurch, dass sie für eine gleich hohe Erstrente sehr unterschiedlich hohe Beiträge zur Rentenversicherung aus versteuertem Einkommen entrichten, wenn sie im selben Jahr verrentet werden. Ihre Rente wird dann nach derselben Systematik besteuert (Steuersatz, Freibeträge). Dieser Nachteil betrifft Pflichtversicherte untereinander.
Sollen doch einige von ihnen altersarm werden.

Der Wirtschaftsweise Prof. Peter Bofinger hat Mitte 2011 in einem Interview u. a. die versicherungsfremden Leistungen angesprochen: Ein zentrales Problem sei es, dass die sozialen Sicherungssysteme zur verdeckten Besteuerung verwendet würden. [VDI-Nachrichten im Internet am 2.8.2011] Ähnlich äußerte sich Bert Rürup. [U. Sosalla, Milliardenschwere Fremdleistungen belasten Sozialsysteme, Financial Times Deutschland vom 10.11.2005] Diese von Bofinger und Rürup angesprochene verdeckte Besteuerung bedeutet:
Die Rentenversicherungsbeiträge werden nicht nur aus dem individuell besteuerten Lohn abgeführt. Sie unterliegen darüber hinaus in ihrer Gesamtheit noch einmal einer so genannten verdeckten Besteuerung und dienen als Ersatz für den zu geringen Bundeszuschuss.
Das hilft ungemein bei der Altersarmut.

Und noch ein letztes: Die Vorsorgepauschale, der Steuernachlass, wurde von allen Steuerzahlern viereinhalb Jahrzehnte bis 2004 bezogen. Sie konnten daher darauf vertrauen, dass sich ihr Bezug später nicht nachteilig für sie auswirkt. Die Vorsorgepauschale war in die Programme zur Steuerberechnung eingearbeitet. Die Steuerzahler konnten sich ihr also nicht einmal entziehen. Aber ihre nachträgliche Anrechnung hilft bei der Altersarmut. So soll es sein!

Pflichtversicherte und Rentner werden arm gemacht. Dafür sorgen unsere Politiker, unsere Gerichte und unsere Experten.