2.0 Ein Fehlurteil des Bundesverfassungsgerichts: 2 BvL 17/99

2.0 Ein Fehlurteil des Bundesverfassungsgerichts: 2 BvL 17/99

Für den eiligen Leser

Das BVerfG verfolgte in seiner Entscheidung vom 6. März 2002 drei Beweislinien zur Begründung, dass Pensionäre gegenüber Rentnern steuerlich benachteiligt werden. Es machte dabei unglaubliche Fehler. Diese Fehler werden in den nächsten Kapiteln dargestellt und einer kritischen Würdigung unterzogen.

Es zeigt sich vor allem, dass das Alterseinkünftegesetz verfassungswidrig ist. Denn das BVerfG konnte nur mit falschen Daten nachweisen, dass Pensionäre gegenüberüber Rentnern steuerlich benachteiligt werden. In Wahrheit ist es um gekehrt: bei den Rentnern wird Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes, der Gleichheitssatz, verletzt.

2.1 Erster Geniestreich: die Besteuerung von Renten und Pensionen nach BVerfG

Im ersten Leitsatz zu seinem Urteil 2 BvL 17/99 vom 6. März 2002 stellte das BVerfG fest, dass die unterschiedliche Besteuerung von Beamtenpensionen und Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung mit dem Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar sei.

Zur Darstellung der angeblichen Benachteiligung von Pensionären gegenüber Rentnern – also von Beamten und Pflichtversicherten im Ruhestand – führt das Gericht vier Tabellen an. Dabei unterlaufen ihm unglaubliche Fehler, denn das Kernstück dieser Beweisführung des BVerfG beruht auf der Verwendung falscher Daten.

Vier Versuche – kein Treffer

Für seine Untersuchung der einkommenssteuerlichen Behandlung von Renten und Pensionen entwickelte das BVerfG für das Beispieljahr 1996 vier Tabellen. Den grundsätzlichen Aufbau jeder dieser Tabellen zeigt die nachstehende Abbildung:

 

Sozialrentner

Pensionäre

 

Alleinstehende

Verheiratete

Alleinstehende

Verheiratete

Jahresbruttorente
bzw.
Jahresbruttopension

 

 

 

 

Weitere Einkünfte, z.B. aus Vermietung und Verpachtung und/oder Kapitalvermögen

 

 

 

 

steuermindernde Abzüge

 

 

 

 

zu versteuerndes Einkommen

 

 

 

 

Einkommensteuer

 

 

 

 

Aufbau der Tabellen nach Rz. 103, 106, 110 und 113 [Rz.: Randziffer im Urteilstext]

Zur Information: Das BVerfG benutzt in den vier Tabellen den Begriff ‚Sozialrentner‘. Nach Duden ist ein Sozialrentner eine Person, die eine Sozialrente empfängt. Nach dem Gabler Wirtschaftslexikon ist eine Sozialrente die umgangssprachliche Bezeichnung für eine Rente aus der gesetzlichen Sozialversicherung

In Tabelle 1 führt das BVerfG nach eigener Aussage Beträge für Renten und Pensionen auf, die ohne das Hinzutreten weiterer Einkünfte steuerfrei bezogen werden konnten.

Als Quelle beruft sich das Gericht auf die Bundestagsdrucksache 13/5685. Hier heißt es allerdings auf der vom Gericht herangezogenen Seite 3: „Renten in der genannten Höhe sind in der gesetzlichen Rentenversicherung grundsätzlich nicht erreichbar.“ 1)Information aus dem Internet vom 10.10.2010 unter http://dip21.bundestag.de/dip21/btd/13/056/1305685.pdf.

Das Gericht gibt für die Höhe der Rente eines alleinstehenden Rentners 63.048 DM an. Zum Vergleich: Die durchschnittlichen jährlichen Versichertenrenten lagen bei ca. 21.600 DM für Männer, bei rd. 9.800 DM für Frauen. Der gemeinsame Durchschnittswert für Männer und Frauen zusammen lag bei ca. 15.100 DM. 2)VDR, Rentenversicherung in Zahlen 1997, S. 32f. Diese Renten sind keineswegs steuerfrei, sondern werden mit ihrem so genanten Ertragsanteil besteuert.

Wie wirklichkeitsfremd die vom BVerfG verwendeten Beträge für Renten sind, sieht man auch an den später folgendem Berechnungen der Sachverständigenkommission: Für einen ledigen Pflichtversicherten, der 45 Jahre einen Lohn in Höhe der Beitragsbemessungsgrenze zur Rentenversicherung bezog und 2005 verrentet wurde, ermittelte die Kommission eine Rente von 23.411 Euro bzw. 45.788 DM 3)Abschlussbericht der Sachverständigenkommission Anlage 7/2.. Das entspricht etwa drei Viertel jenes Betrags, den das BVerfG zugrunde legt. Dies ist umso bemerkenswerter, als zwischen den Berechnungszeitpunkten von Kommission und BVerfG neun Jahre und mehrere Rentenerhöhungen lagen.

Die vom Gericht in Tabelle 1 verwendeten Pensionshöhen stellen nichts anderes als den steuerfreien Teil von Pensionen dar, nicht deren Höhe. Anders als bei Renten ist bei Pensionen eine untere Grenze festgelegt, die so genannte Mindestversorgung für Beamte gemäß dem Beamtenversorgungsgesetz (BeamtVG § 14). Die Höhe der monatlichen Mindestversorgung lag für alleinstehende Beamte 1996 bei ca. 2.093 DM.4)Rundschreiben des Bundesministerium des Inneren vom 12.1.1996 – D II 6 – 223 134/1. Ferner ist bei Beamten zur Bestimmung des Jahresgehalts auch die Sonderzuwendung zu berücksichtigen. Diese wurde im Jahr 1973 auf ein volles Monatsgehalt festgelegt. Es blieb bei dieser Höhe, bis 1994 die Sonderzuwendung betragsmäßig auf dem Stand des Jahres 1993 eingefroren wurde. Somit änderte sich Anteil der Sonderzuwendung am Gehalt mit jeder Besoldungsanpassung. 1996 betrug die Sonderzuwendung noch rund 95 Prozent eines Monatsgehalts.5)Information aus dem Internet vom 2.2.2017 unter http://dipbt.bundestag.de/dip21/btd/15/058/1505821.pdf, S. 60. Das Jahresgehalt eines ledigen Beamten lag im Jahr 1996 daher bei mindestens 27.104 DM.

Die in Tabelle 1 aufgeführten Werte haben mit real möglichen Pensionen und Renten nichts zu tun.

Auch in der Tabelle 2 legt das BVerfG nicht mögliche hohe Renteneinkünfte zugrunde. Diesen laut gerichtseigener Quelle unmöglichen Werten von Renten stellt das Gericht einen gleich hohen Betrag für die Pensionen gegenüber. Der Wert einer Durchschnittspension lag 1996 bei 55.389 DM. 6)Statistisches Bundesamt, Fachserie 14/ Reihe 6.2, Finanzen und Steuern, Versorgungsempfänger des öffentlichen Dienstes, 2005, IV_4, Empfänger von Ruhegehalt.

Die in Tabelle 2 aufgeführten Rentenwerte sind nach der gerichtseigenen Quelle nicht zu erreichen.

In Tabelle 3 führt das BVerfG den in der gesetzlichen Rentenversicherung nicht möglichen hohen Rentenbetrag an. Der Betrag für die Pensionen entspricht dem der Tabelle 2. Hinzugenommen wird ein zu versteuerndes Zusatzeinkommen, zum Beispiel aus Vermietung und Verpachtung und/oder Kapitalvermögen. Nach eigenem Bekunden hat das Gericht die verwendeten Werte für Zusatzeinkommen einer Quelle des Statistischen Bundesamts (Destatis) entnommen: „Der Ansatz weiterer Einkünfte stellt hierbei keine hypothetische Annahme dar. Eine Einkommens- und Verbrauchsstichprobe für das Jahr 1993 ergab, dass die Einnahmen der Rentnerhaushalte aus Vermögen 17 oder 20 v.H. (für einen Ein- oder Zweipersonenhaushalt) des Haushaltseinkommens ausmachten (Statistisches Bundesamt, Wirtschaft und Statistik Band 2, 1997, S. 120 ).“ 7)M. Münnich, Zur wirtschaftlichen Lage von Ein- und Zweipersonenrentnerhaushalten. Ergebnis der Einkommens- und Verbrauchsstichprobe 1993, in: Statistisches Bundesamt, Wirtschaft und Statistik 2, Februar 1997.

Hier empfiehlt es sich, genauer hinzuschauen:

 

destatis

BVerfG

 

1 PRHh

2 PRHh

1 PRHh

2 PRHh

Jahres-Brutto-Haushalts- einkommen gesamt

29.280

50.580

73.048

130.674

Jahres-Brutto Haushalts-einkommen (nur Rente + Einkommen aus Vermögen)

25.260

39.936

73.048

130.674

Rente

20.256

30.000

63.048

110.674

Einnahmen aus Vermögen

5.004

9.936

10.000

20.000

Eigentümermietwert

2.196

4.608

Zu versteuerndes Zusatz-einkommen aus Vermögen

2.808

5.328

10.000

20.000

alle Werte in DM; Abkürzungen: PRHh = Personen Rentner-Haushalt

Das BVerfG operiert mit Werten, die mit der Realität nicht zu vereinbaren sind. In Tabelle 1 auf S. 121 der zitierten Quelle (Destatis) verfügt ein Rentnerhaushalt mit einer Person im früheren Bundesgebiet über ein monatliches Haushaltsbruttoeinkommen von 2.440 DM. Dies entspricht einem jährlichen Bruttoeinkommen 29.280 DM. Demgegenüber geht das BVerfG von 63.048 DM plus 10.000 DM, also von 73.048 DM aus. Ähnliches gilt für Rentnerhaushalte mit zwei Personen.
Und noch einmal gilt es, genauer hinzuschauen. In Tabelle 1 auf S. 121 der Quelle (Destatis) werden die Einnahmen aus Vermögen in der Fußnote 1 definiert. Direkt unter dem Wert der monatlichen Einnahmen von 417 DM findet sich die Angabe “dar.: Mietwert der Eigentümerwohnung“. Dieser Mietwert beträgt 183 DM pro Monat und wird als so genannter „Eigentümermietwert“ bei Haushalten mit selbst genutztem Wohneigentum dem Bruttoeinkommen zugerechnet

Das heißt aber auch, dass das zu versteuernde jährliche Zusatzeinkommen für Ledige höchstens 12*(417-183) DM, also 2.808 DM beträgt. Demgegenüber setzt das BVerfG das zu versteuernde Zusatzeinkommen für Ledige mit einem Betrag von 10.000 DM. Damit ist das vom Gericht unterstellte zu versteuernde Einkommen aus Vermögen etwa viermal größer als derjenige Betrag, den das zitierte Statistische Bundesamt selbst in der Quelle angibt.

In Tabelle 3 beschreibt das Gericht also die steuerliche Situation bei Bezug von real nicht möglichen Renten, ca. durchschnittlichen Pensionen und einem zu versteuernden Zusatzeinkommen, das rund viermal höher ist als vom Statistischen Bundesamt selbst festgestellt wurde.

In Tabelle 4 verwendet das BVerfG tatsächlich real mögliche Zahlen für Renten. Unverständlicherweise bemerkt das Gericht, dass der hier angenommene Betrag noch unter der Rente eines Durchschnittsverdieners mit 45 Versicherungsjahren (so genannte Standardrente oder auch Eckrente) liege.

1996 betrug die Höhe der Standardrente 25.083 DM. Es ist völlig unverständlich, warum das Gericht den Hinweis auf die Standardrente macht. Eine Rente in Höhe der Standardrente ist eher untypisch. Denn bei etwa 50 Prozent der Männer und rd. 95 Prozent der Frauen lag der Rentenbetrag unter dem der Standardrente.8)VDR, Rentenversicherung in Zahlen 1997, S. 44.

Auch in diesem Fall sind die vom BVerfG unterstellten Rentenwerte also keineswegs typisch. Im Jahr 1996 lag die Rentenhöhe beim Durchschnitt aller Versicherten bei etwa 15.100 DM.9)VDR, Rentenversicherung in Zahlen 1997, S. 32f.
Die Werte für Pensionen sind falsch, denn es handelt sich in dieser Zusammenstellung nicht um Beträge, die steuerfrei bezogen werden können.
Berücksichtigt werden in Tabelle 4 die gleichen überhöhten Beträge für das zu versteuernde Zusatzeinkommen aus Vermögen wie in Tabelle 3.

In Tabelle 4 vergleicht das Gericht also die steuerliche Situation bei Bezug einer nicht möglichen niedrigen Pension mit einer möglichen, aber relativ hohen Rente zuzüglich eines versteuernden Zusatzeinkommens, das ca. viermal höher ist als vom Statistischen Bundesamt ermittelt.

Gar nicht zu verstehen ist, warum das BVerfG auf die Verwendung der Untersuchung des Statistischen Bundesamts de facto verzichtet hat. Mit dieser von ihm selbst angegebenen Quelle lag dem Gericht eine Datenerhebung von ca. 10.000 Rentnerhaushalten aus dem Jahr 1993 vor. Renten, Zusatzeinkommen und zu entrichtende Steuern auf das Jahr 1996 hochzurechnen, wäre ein Leichtes gewesen.

Zusammenfassung

Nach dem ersten Leitsatz des Gerichtsurteils ist die unterschiedliche Besteuerung der Beamtenpensionen und der Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung mit dem Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG unvereinbar. Allerdings beruht die vom Gericht festgestellte einkommensteuerliche Benachteiligung von Pensionären gegenüber Rentnern auf der Verwendung falscher Daten:

  • Keine der vier Tabellen, die das BVerfG seiner Entscheidung zugrunde legt, enthält ausschließlich real mögliche Werte von Renten, Pensionen und Zusatzeinkommen.
  • Die Höhe der vom Gericht unterstellten Renten ist in drei von vier Fällen bzw. Tabellen nach den vom Gericht benutzten Quellen nicht zu erreichen.
  • Die vom Gericht angenommenen Pensionen sind in zwei von vier Fällen bzw. Tabellen unmöglich, da sie niedriger sind, als die vorgeschriebene Mindestversorgung.
  • Das vom Gericht unterstellte zu versteuernde Zusatzeinkommen von Rentnern ist rund viermal höher als in der gerichtlich zugrunde gelegten Quelle.

Ohne die Verwendung falscher Daten hätte das BVerfG das Herzstück seines Urteils – die steuerliche Benachteiligung von Pensionären gegenüber Rentnern – nicht beweisen können. Die Entscheidung des Gerichts steht in klarem Widerspruch zu den gerichtseigenen Quellen und zur Wirklichkeit.

2.2 Ein weiterer Geniestreich: Die Realitätsferne des Kapitalrückflusses nach BVerfG

Wie oben dargestellt, hat das BVerfG die steuerliche Benachteiligung von Pensionären gegenüber Rentnern unter Verwendung falscher Daten „bewiesen“. Darüber hinaus analysiert das BVerfG in seinem Urteil vom 6. März 2002 die Kapitalströme in der Rentenversicherung. Aus Sicht des Gerichts ist der angenommene Kapitalrückfluss, der für die Ertragsanteilsbesteuerung nach damals geltendem Recht unterstellt wurde, realitätsfern. Der gesetzlich festgelegte Ertragsanteil basiere auf einer nicht mehr aktuellen Sterbetafel. Von einer Aktualisierung hat der Gesetzgeber allerdings abgesehen, denn Pensionäre leben gut zwei Jahre länger als Rentner.10)Zweiter Versorgungsbericht der Bundesregierung, S. 28. Inzwischen sind genauere Zahlen bekannt: 65-jährige Beamte können mit einer Lebenserwartung von 21,5 Jahren rechnen, gleichaltrige Angestellte und Selbständige mit 19 Jahren, Arbeiter mit 15,9 Jahren 11)Der Spiegel Nr. 33 / 14.8.2021, S. 15. Zudem decke sich der Ertragsanteil nicht mit den Ergebnissen verschiedener Modellrechnungen. Leider legt das BVerfG die ‚verschiedenen Modellrechnungen’ nicht offen. Es wäre außerordentlich interessant zu prüfen, ob die Modellrechnungen die Enteignungen der Pflichtversicherten berücksichtigten: der Gesetzgeber hat zweimal die von den Pflichtversicherten angesparten Mittel enteignet und niemals erstattet. 1917 betrug die Rücklage der Rentenversicherung rd. zehn Jahresausgaben, 1939 waren es rd. sieben Jahresausgaben.12)D. Zöllner, Aspekte der Einkommensverteilung bei der Finanzierung von Rentenversicherungssystemen, Soziale Sicherheit, Nr. 7/8, 1986, S. 321.

Außerdem kritisiert das Gericht, dass die Rentenzahlungen nicht ausschließlich auf eigene Beiträge der Versicherten zurückgehen: Arbeitgeberanteil und Bundeszuschuss stellten einen deutlichen Anteil an den Rentenzahlungen dar.

Das BVerfG führt zum Nachweis der Realitätsferne des Kapitalrückflusses auch die Steigerung der Eckrente in verschiedenen Zeitintervallen an: von 1957 bis 1996; von 1960 bis 1970; von 1971 bis 1980; von 1981 bis 1990.13)2 BvL 17/99, Rz. 120. Die Eckrente (auch Standardrente genannt) ist die Rente, die ein Versicherter erhält, der 45 Jahre lang einen Lohn in Höhe des Durchschnittslohns aller Versicherten bezogen hat. Jemand, der 1957 oder 1960 in Rente ging, erlebte beide Enteignungen, wer 1971 oder 1981 eine Eckrente bezog, musste noch eine Enteignung hinnehmen.

Die Betrachtung der Eckrente ist ohne eine gleichzeitige Untersuchung der für sie zu entrichtenden Beiträge irreführend.
In den letzten drei Intervallen war die Steigerung der zu entrichtenden Pflichtbeiträge deutlich größer als die Steigerung der Eckrente. Bei dem ersten Intervall ist nicht klar auf welche Eckrente sich die Quelle des BVerfG bezieht.
Denn im Jahr 1957 wurde die erste Rentenreform durchgeführt. Die Erstauszahlung der erhöhten Renten fand erst ab im April 1957 statt.

Die Steigerung der Eckrenten wurde nur möglich durch die Steigerung der Pflichtbeiträge.

Wie weiter unten ausgeführt wird, ist der Bundeszuschuss seit vielen Jahrzehnten zu niedrig, um sämtliche so genannte versicherungsfremde Leistungen abzudecken. Es ist realitätsfremd, die Steigerung der Eckrenten auf den Bundeszuschuss zurückzuführen. Diese Steigerung wurde vielmehr durch die Erhöhung der Rentenversicherungsbeiträge der Pflichtversicherten ermöglicht.

Realitätsferne Berücksichtigung des Bundeszuschusses

Es ist schwer nachzuvollziehen, warum das BVerfG zum Nachweis der Realitätsferne des Kapitalrückflusses auch den Bundeszuschuss herangezogen hat. Experten legen seit vielen Jahren überzeugend dar, dass der Bundeszuschuss zu gering für die Deckung der sogenannten versicherungsfremden Leistungen ist.

Der Bundeszuschuss geht auf das Jahr 1957 zurück. In diesem Jahr schaffte die Regierung das ursprüngliche Kapitaldeckungsverfahren bei der Rentenversicherung ab. Der Staat ersparte sich dadurch die Rückzahlung von Mitteln, die er 1917 sowie 1939 bei der Rentenversicherung geliehen hatte. Zugleich übertrug er die Versorgung der Millionen Kriegsgeschädigten allein auf die Pflichtversicherten. Die Summe der nichterstatteten verbrieften Forderungen entsprach ca. 40 Prozent des Bundeshaushalts von 1957/58.14)Die Angestelltenversicherung, 8, 1957, S. 224. Den Steuerzahlern – unter ihnen auch Beamte und Pensionäre – wurde das Aufbringen beträchtlicher Mittel für die Rückerstattung der Rentenversicherungsrücklagen erspart.

Als Ausgleich zahlte die Regierung der Rentenversicherung den so genannten Bundeszuschuss, der aber bereits nach wenigen Jahren nicht mehr ausreichte, die tatsächlichen Kosten der Lasten zu decken. Der Bundeszuschuss stellt also keine Subvention der Rentenversicherung dar, sondern ist vielmehr die – zu geringe – Entschädigung für zwei Enteignungen und den Unterhalt aufgezwungener Leistungen.

Nach der Definition des Verbandes Deutscher Rentenversicherungsträger (VDR) „sind alle Leistungen der Rentenversicherung als versicherungsfremd anzusehen, die nicht oder nicht in vollem Umfang durch Beiträge der Versicherten gedeckt sind“.15)VDR, Fakten und Argumente, Heft Nr. 5, Versicherungsfremde Leistungen – sachgerecht finanzieren!, 1. Auflage, 1/1997, S. 7. Beispiele hierfür sind die Kriegsfolgelasten (Renten für Millionen Kriegsteilnehmer, Kriegerwitwen, Waisen, Heimatvertriebene und Aussiedler) oder Zuschüsse der Rentenversicherung an andere Zweige der Sozialversicherung. Nach einer Untersuchung des VDR machten die versicherungsfremden Leistungen, die eigentlich aus Steuermitteln gedeckt werden müssten, ca. 100 Mrd. DM aus. Der Bundeszuschuss betrug dagegen nur rd. 60 Mrd. DM. D. h., er deckte in dem betrachteten Jahr nur ca. 60 Prozent der versicherungsfremden Leistungen ab. Die Differenz von 40 Mrd. DM wurde durch Beiträge der Versicherten aus versteuertem Einkommen finanziert.16)VDR, Fakten und Argumente, Heft Nr. 5, Versicherungsfremde Leistungen – sachgerecht finanzieren!, 1. Auflage, 1/1997, S. 7. Franz Ruland, der Geschäftsführer des VDR, meinte 1994: „Die Finanzierung allgemein staatlicher Aufgaben durch Beiträge statt durch Steuern spaltet die Bevölkerung in einen Teil, der sie finanzieren muß, und in einen Teil, der von der Finanzierung verschont bleibt.“ 17)F. Ruland: Die versicherungsfremden Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung, Aktuelles Presseseminar des VDR, 21./22. November 1994 in Würzburg, S. 50.

Noch im Jahr 2005 bezifferte die Bundestagsdrucksache 16/55 die Höhe der ungedeckten versicherungsfremden Leistungen in der Rentenversicherung für das Jahr 2003, je nach Definition, auf 6 bzw. 19 Mrd. Euro.18)BT-Drucksache 16/65, S. 376. Und im Jahr 2010 meinte der Präsident der Deutschen Rentenversicherung Bund H. Rische mit Blick auf den Bundeszuschuss: „Werden solche Ausgaben – wie in der gemeinsamen Abschätzung von BMGS19)BMGS ist die Abkürzung für das damals noch existierende Bundesministerium für Gesundheit und Soziale Sicherung. und VDR aus dem Jahre 2004 – unter der Rubrik „nicht beitragsgedeckte Leistungen“ zusammengefasst, so finanzieren die Bundeszuschüsse gegenwärtig zwar einen großen Teil davon, aber nicht deren vollen Umfang. So lautet auch das Ergebnis einer jüngsten Aktualisierung der damaligen Abschätzung.“20)H. Rische, Bundesvertreterversammlung der Deutschen Rentenversicherung Bund am 24. Juni 2010 in Frankfurt am Main, S. 9-10. Im Jahr 2012 veröffentlichte die Deutsche Rentenversicherung eine Studie zum Thema. Danach betrugen die versicherungsfremden Leistungen im Jahr 2009 nach der Abgrenzung solcher Leistungen aus früheren Jahren 47,3 Mrd. Euro. Unter Einrechnung der Transferleistungen lag der Betrag sogar bei 70,7 Mrd. Euro. Die Bundeszuschüsse machten nur 57,3 Mrd.21)Deutsche Rentenversicherung Heft 1, März/April 2012, S. 3. Euro aus. Nach diesen Zahlen blieben also die Beitragszahler also auf 13,4 Mrd. Euro sitzen.

Es ist nicht nachvollziehbar, dass das BVerfG den Bundeszuschuss zum Beweis für einen realitätsfernen Kapitalrückfluss herangezogen hat.
Die meisten Renten enthalten nämlich überhaupt keine Anteile, die auf versicherungsfremden Leistungen beruhen.

Außerdem sollte der Bundeszuschuss Leistungen der Rentenversicherung abdecken, die nicht zu deren Standardleistungen gehören. Er diente somit niemals dazu, höhere Renten zu finanzieren. Vielmehr ist es umgekehrt: Mit ihren Beiträgen finanzieren die Pflichtversicherten einen Teil des zu geringen Bundeszuschusses.

Fazit:

Das BVerfG hätte bei seiner Entscheidung berücksichtigen müssen, dass Beamte und Pensionäre in steuerlicher Hinsicht aus Mitteln der Rentenversicherung subventioniert wurden: zum einen durch die Co-Finanzierung der versicherungsfremden Leistungen durch Beiträge der Pflichtversicherten, zum anderen aufgrund der Nichterstattung enteigneter Rentenversicherungsmittel. Denn bei voller Finanzierung der versicherungsfremden Leistungen und im Falle der Entschädigung für enteignete Rentenversicherungsbeiträge hätten Beamte und Pensionäre erheblich höhere Steuern zahlen müssen, während Pflichtversicherte entlastet worden wären. Das Gericht hat diesen Sachverhalt allerdings nicht berücksichtigt.

Das Bundesverfassungsgericht nahm weder die Enteignung der Pflichtversicherten noch die Tatsache wahr, dass deren Pflichtbeiträge statt Steuergelder (Bundeszuschuss) verwendet werden.

2.3 Und noch ein Geniestreich: Die Erwerbsphase aus Sicht des BVerfG

In seiner Entscheidung vom 6. März 2002 untersucht das BVerfG auch die Erwerbsphase. Es versucht dabei zu zeigen, dass Pflichtversicherte nur einen geringen Teil ihrer eigenen Rentenversicherungsbeiträge aus versteuertem Einkommen entrichtet haben.

Tatsächlich wurde bis 2004 sämtlichen Steuerpflichtigen ohne den besonderen Nachweis von Vorsorgeaufwendungen die sogenannte Vorsorgepauschale erstattet. Bei der Vorsorgepauschale (VSP) handelt es sich also um einen Steuernachlass, der jedem Steuerzahler, also auch Beamten, eingeräumt wurde. Dieser rein lohnabhängige Betrag senkte damit die zu entrichtenden Steuern. Als Vorsorgeaufwendungen galten zum einen Beiträge für die Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung. Zum anderen wurden auch Beiträge für eine Lebens-, Haftpflicht-, Unfall-, Erwerbs- oder Berufsunfähigkeitsversicherung anerkannt.

In seiner Betrachtung der Erwerbsphase vermerkt das Gericht, dass Beamten seit 1983 die VSP in geringerem Maße zur Verfügung stehe als Pflichtversicherten. Grund sei die Versicherungsfreiheit in der Renten- und Arbeitslosenversicherung. Allerdings verschweigt das Gericht, dass Beamte bis 1982 eine gleich hohe VSP wie Pflichtversicherte erhielten, obwohl sie von den Beiträgen zur Renten- und Arbeitslosenversicherung befreit waren. Bezüglich der VSP von Beamten vermerkt das BVerfG: „Lediglich im Rahmen der Vorsorgepauschale gemäß § 10c Abs. 2 bis 4 EStG wird seit 1983 dem Umstand Rechnung getragen, dass der Beamte aufgrund seiner Versicherungsfreiheit in der Renten- und Arbeitslosenversicherung in aller Regel geringere Vorsorgeaufwendungen zu tragen hat als ein sozialversicherungspflichtiger Arbeitnehmer.“ 22)2 BvL 17/99, Rz. 146.

Bei genauer Analyse stellt sich jedoch heraus, dass Pflichtversicherte immer eine niedrigere VSP als Beamte erhielten. Und dies gilt sogar noch nach der Kürzung der VSP der Beamten von 1983. Für einen Pflichtversicherten, der einen Lohn in Höhe der Beitragsbemessungsgrenze zur Rentenversicherung bezog, sieht die Situation im Vergleich zu einem Beamten daher wie folgt aus:

 

Jahr VSP des Pflichtversicherten
  ohne Abzug der Renten- und Arbeitslosenversicherung nach Abzug der Renten- und Arbeitslosenversicherung
1982 3.510 DM 1.019 DM
1983 3.510 DM 982 DM

 

Die Kernaussage dieser Tabelle lässt sich wie folgt beschreiben:

Im Jahr 1982 entrichten Pflichtversicherte mit einem Lohn an der Beitragsbemessungsgrenze zur Rentenversicherung Beiträge zur Renten- und Arbeitslosenversicherung in Höhe von 2.491 DM. Von diesen Beiträgen sind Beamte befreit. Dem Pflichtversicherten verbleiben von seiner VSP also (3.510 DM – 2.491 DM) = 1.019 DM, dem Beamten 3.510 DM. Der Pflichtversicherte hat somit einen steuerlichen Nachteil in Höhe von 2.491 DM.
Im Jahr 1983 wurde der Rentenversicherungsbeitrag des Pflichtversicherten erhöht und die VSP für Beamte gekürzt. Für die Renten- und Arbeitslosenversicherung entrichtet der Pflichtversicherte nun 2.528 DM, von seiner VSP verbleiben ihm 3.510 DM – 2.528 DM, also 982 DM.
Der steuerliche Nachteil für Pflichtversicherte wurde hierdurch zwar verringert. Dennoch beträgt er noch immer stolze 2.000 DM – 982 DM = 1.018 DM.

Da der Betrag der VSP nur vom Lohn abhängt, haben alle Pflichtversicherten mit dem gleichen Lohn wie ein Beamter gegenüber diesem einen steuerlichen Nachteil. Da kann man nur staunen: Aus Sicht des BVerfG stellt es offensichtlich keine Verletzung des Gleichheitssatzes dar, dass alle Pflichtversicherte eine niedrigere VSP für jene Versicherungen erhalten, die sie mit Beamten gemeinsam haben (z. B. Lebensversicherungen).

Während die Sachverständigenkommission (siehe Kapitel 3) von einer Arbeitszeit von 1960 bis 2004 ausging, tut das Bundesverfassungsgericht so als begänne die Aktivphase erst 1983. Das Gericht unterschlägt dabei den größten Teil des Nachteils durch die Vorsorgepauschale, den Pflichtversicherte gegenüber Beamten haben.

2.4 Das Urteil des BVerfG in einer Gesamtschau

Aus Sicht des BVerfG ist die unterschiedliche steuerliche Belastung von Renten aus der gesetzlichen Rentenversicherung und Versorgungsbezügen der Ruhestandsbeamten nach Art und Ausmaß beträchtlich.23)2 BvL 17/99, Rz. 100. Das Gericht hat versucht, diese Aussage an Hand von drei Beweislinien zu begründen:

  1. Das BVerfG hat die steuerliche Belastung von Rentnern und Pensionären verglichen. Dabei hat das Gericht nicht bemerkt, dass die Daten für Renten, Pensionen, Haushalts- und zu versteuernde Zusatzeinkommen zum größten Teil im Widerspruch zu den von ihm selbst genannten Quellen oder zur Wirklichkeit stehen.
  2. Das BVerfG hat versucht, die Realitätsferne des unterstellten Kapitalrückflusses aufzuzeigen. Dabei hat das Gericht nicht beachtet, dass die Renten deutlich geringer stiegen als die Rentenversicherungsbeiträge. Das Gericht hat auch übersehen, dass der Bundeszuschuss nur einen Teil der versicherungsfremden Leistungen abdeckt während der fehlende Rest durch Pflichtbeiträge ersetzt wird. Das Gericht hat ferner ignoriert, dass die von den Pflichtversicherten angesparten Kapitalstöcke enteignet wurden. Durch diese Enteignungen und die Zweckentfremdung der Pflichtbeiträge sind allen Beamten und Pensionären erhebliche Steuervorteile entstehen.
  3. Das BVerfG hat schließlich auch die unterschiedliche steuerliche Belastung von Beamten und Pflichtversicherten in der Erwerbsphase verglichen. Dabei hat das Gericht nicht berücksichtigt, dass Beamte bis 1982 eine gleich hohe VSP erhielten wie Pflichtversicherte. Auch nach der Kürzung 1983 erhalten Beamte immer noch eine höhere VSP für jene Versicherungen, die sie mit Pflichtversicherten gemeinsam haben.

Darüber hinaus sah sich das Gericht offensichtlich außerstande, irgendeinen der vielen steuerlichen Nachteile der Pflichtversicherten und Rentner gegenüber Beamten und Pensionären zu erkennen.

Insgesamt ist das Urteil 2 BvL 17/99 des BVerfG als ausgesprochen fragwürdig zu bezeichnen.

    In eklatantem Widerspruch zu einer steuerrechtsimmanenten Betrachtungsweise24)2 Bvl 17/99, Rz. 176. und zum zweiten Leitsatz hat das Gericht drei steuerliche Subventionen von Beamten bzw. Pensionären nicht berücksichtigt:

    • Nichtbegleichung der ersatzlosen Enteignungen (17 Jahreszahlungen)
    Das BVerfG greift zur Beweisführung der steuerlichen Nachteile von Pensionären gegenüber Rentnern auch auf die Entwicklung der Eckrenten zurück. Angeführt werden Steigerungen von 1957 gegenüber 1996 oder 1960 gegenüber 1970. Wer als Eckrentner 1957 in Rente ging begann seine beruflichen Laufbahn 1912, ein Eckrentner von 1960 fing 1915 an zu arbeiten. Beide Rentner waren zweimal Opfer der ersatzlosen Enteignung ihrer angesparten Rentenversicherungsmittel. Die Eckrentner von 1971 bzw. 1990 mussten nur eine Enteignung hinnehmen.
    Der Gesetzgeber hat nämlich zweimal die von den Pflichtversicherten angesparten Mittel enteignet und niemals erstattet. 1917 betrug die Rücklage der Rentenversicherung rd. zehn Jahresausgaben, 1939 waren es ca. sieben Jahresausgaben. Diese enteigneten Mittel hätten alle Steuerzahler wieder aufbringen müssen, aber nur die Pflichtversicherten wären entlastet worden.

    • Verwendung von Pflichtbeiträgen statt des Bundeszuschuss
    Im Jahr 2012 veröffentlichte die Deutsche Rentenversicherung eine Studie zum Thema ‚versicherungsfremde Leistungen’. Danach betrugen diese im Jahr 2009 nach der Abgrenzung solcher Leistungen aus früheren Jahren 47,3 Mrd. Euro. Unter Einrechnung der Transferleistungen lag der Betrag sogar bei 70,7 Mrd. Euro. Die Bundeszuschüsse machten nur 57,3 Mrd. Euro aus. Bei voller Finanzierung der versicherungsfremden Leistungen hätten alle Steuerzahler, also auch Pflichtversicherte, Beamte und Pensionäre, höhere Steuern entrichten müssen. Aber nur die Pflichtversicherten wären entlastet worden.
    • Höhere Vorsorgepauschale für Beamte.
    Bei der Vorsorgepauschale (VSP) handelt es sich um einen Steuernachlass, der für Vorsorgeaufwendungen bis 2004 jedem Steuerzahler eingeräumt wurde. Als Vorsorgeaufwendungen galten zum einen Beiträge für die Renten-, Kranken-, Pflege- und Arbeitslosenversicherung. Zum anderen wurden auch Beiträge für eine Lebens-, Haftpflicht-, Unfall-, Erwerbs- oder Berufsunfähigkeitsversicherung anerkannt.
    In seiner Betrachtung der Erwerbsphase vermerkt das BVerfG, dass Beamten seit 1983 die VSP in geringerem Maße zur Verfügung stand als Pflichtversicherten. Grund sei die Versicherungsfreiheit in der Renten- und Arbeitslosenversicherung. Allerdings verschweigt das BVerfG, dass Beamte bis 1982 eine gleich hohe Vorsorgepauschale wie Pflichtversicherte erhielten, obwohl sie von den Beiträgen zur Renten- und Arbeitslosenversicherung befreit waren. Das Gericht nimmt nicht wahr, dass alle Pflichtversicherte bei gleichem Lohn immer einen steuerlichen Nachteil gegenüber Beamten haben.

Hintergründe zur Entscheidungsfindung des Bundesverfassungsgerichts

Einen besonderen Kritikpunkt hob F. Ruland kurz nach Bekanntgabe der Gerichtsentscheidung hervor: Es sei unverständlich, dass das Gericht die großen Unterschiede im Versorgungsniveau zwischen Rentenversicherung und Beamtenversorgung nicht einmal
erwähnt habe. Dazu gehöre auch, dass sich die Pension nach der letzten Gehaltsstufe des Beamten bemesse, während der Rente das Lebenseinkommen zugrunde liege. Zugleich sei die
Beamtenversorgung das einzige System, das die betriebliche Altersvorsorge einschließe. Auch diese werde beitragsfrei erworben. Es sei schon ein „gewisses Problem“, wenn acht Richter urteilten, die wie Beamte versorgt würden.25)Frankfurter Allgemeine Zeitung vom 9.3.2002, Nr. 58, S. 13.

Das BVerfG muss eine höchst unterschiedliche Vielzahl von Gesetzen und Sachverhalten auf ihre Verfassungsmäßigkeit prüfen. Es ist nicht auf allen Gebieten so spezialisiert, dass es aus eigener Kompetenz fundierte Urteile fällen kann. Das Gericht ist daher auf die Zuarbeit externer Experten angewiesen. So war es wohl auch im Fall des Urteils 2 BvL 17/99.

Berichterstatterin im Falle von 2 BvL 17/99 war Lerke Osterloh. Sie und die ihr zuarbeitenden Ministerialbeamten tragen die Hauptverantwortung für die dem BVerfG unterlaufenen Fehler. Ihnen ist es zu verdanken, dass das Gericht ein höchst fragwürdiges Urteil gefällt hat. Dieses schafft die Basis für die höhere ungerechtfertigte Besteuerung der Alterseinkommen von Pflichtversicherten. Es bildet somit den Grund für die zunehmende Altersarmut.

Eine Frage muss allerdings noch gestellt werden: Wieso hat niemand die Fehler des Gerichts bemerkt?

Zunächst muss man sich fragen, wieso keiner der an dem Urteil 2 BvL 17/99 beteiligten Richterinnen und Richter die groben Fehler bemerkt hat. Dafür gibt es eine recht einfache Erklärung. Sie folgt aus der strukturellen Arbeit an hohen deutschen Gerichten:

Der Bundesgerichtshof (BGH) ist das oberste Gericht der Bundesrepublik Deutschland für Zivil- und Strafverfahren. Mit seinen zwölf Zivil- und fünf Strafsenaten entscheidet der BGH über Revisionen gegen Urteile der Landes- und Oberlandesgerichte. Er entscheidet also darüber, ob ein Urteil dieser Gerichte auf Rechtsfehlern beruht. Damit ein BGH-Urteil nicht von persönlichen Einstellungen und juristischen Prägungen eines einzelnen Richters dominiert wird, sollen am BGH fünf Richter gemeinsam einen Fall entscheiden.

Wie das Magazin Der Spiegel berichtete26)Der Spiegel, 29.7.2013, Nr. 31, Karlsruher Lotterie, S. 44-45. erschien Mitte August 2013 ein Aufsatz des Vorsitzenden des Zweiten Strafsenats, Fischer, in einer Fachzeitschrift. Dieser hatte festgestellt, dass in der Praxis die wechselseitige Kontrolle der Richter eines Senats versagt. Denn in nicht wenigen Fällen setzt sich ein Richter, der so genannte Berichterstatter, mit seiner Meinung durch. Er ist neben dem Vorsitzenden meist der Einzige, der die Akten gelesen hat. Damit wird der Ausgang eines Verfahrens nachdrücklich durch die Wahl des Berichterstatters bestimmt.

Könnte es sein, dass sich die Berichterstatterin Lerke Osterloh, Richterin am Bundesverfassungsgericht, schlicht auf Texte verlassen hat, die ihr von Experten gelieferten wurden? Dass weder sie noch sieben weitere Richterinnen und Richter die Daten und Argumente überprüft haben? Dass sich die Richterinnen und Richter einfach aufeinander verlassen haben? Die Antwort lautet leider: Ja, am BVerfG herrschen ähnliche Zustände wie am BGH.

Kritische Würdigung der Entscheidung?

Allen Bundestagsabgeordneten stehen die so genannten Wissenschaftlichen Dienste parteipolitisch neutral zur Verfügung.27) https://www.bundestag.de/wissenschaftlichedienste Mit ihrer Unterstützung hätten unsere Parlamentarier das Urteil des BVerfG überprüfen können. Offensichtlich haben sie wichtigere Dinge zu tun, als zwei Drittel der Bevölkerung vor einem Fehlurteil und Altersarmut zu schützen.

Nun könnte man annehmen, dass Fachleute aus der Medienwelt die Fehler des Bundesverfassungsgerichts hätten bemerken müssen. Doch auch hier sollte man sich nicht zu viel erhoffen. Rolf Lamprecht arbeitete von 1968 bis 1998 als SPIEGEL-Korrespondent bei den Obersten Gerichtshöfen des Bundes in Karlsruhe.
Er schrieb auch einige Bücher, z. B. eines mit dem Titel ‚Ich gehe bis nach Karlsruhe’, Untertitel ‚Eine Geschichte des Bundesverfassungsgerichts’. In diesem Buch erwähnte er ausgerechnet das Urteil 2 BvL 17/99 bzw. die falschen Zahlen zu Renten und Pensionen und kommt zu dem Schluss: Hier habe Jutta Limbach, die damalige Präsidentin des BVerfG und Vorsitzende des Zweiten Senats, ihr Fingerspitzengefühl gezeigt.

Ein anderes Presseorgan, das angeblich viel Sachverstand zeigt, ist die Süddeutsche Zeitung.
Dort leitet Heribert Prantl das Ressort für Innenpolitik und ist seit Januar 2011 Mitglied der Chefredaktion. Er ist promovierter Jurist, Journalist und Autor. Nach dem Referendariat arbeitete er zunächst als Rechtsanwalt, dann als Richter an bayerischen Amts- und Landgerichten sowie als Staatsanwalt.

Über die Kritik Prantls an der Asylrechtsprechung des BVerfG sagte Winfried Hassemer einmal: „Es ist Urteilsschelte in schärfster Zuspitzung, und die trifft das Gericht genau an der Stelle, an der es verwundbar ist: bei Solidität und Ernsthaftigkeit des Grundrechtsschutzes“.28)Aus dem Internet am 10.5.2015 http://de.wikipedia.org/wiki/Heribert_Prantl#cite_note-books-KoBIAQAAIAAJ–2
Hassemer war einer der am Urteil 2 BvL 17/99 beteiligten Richter.
2012 hatte Prantl ein Porträt des BVerfG-Präsidenten in einem Stil geschrieben, der nahelegte, dass er persönlich bei diesem zu Gast war. Das rief teilweise Irritationen über die vermeintliche Nähe der beiden hervor. Als sich herausstellte, dass Prantl die geschilderte Küchenszene nur aus Erzählungen kannte, löste dies eine Debatte um journalistische Sorgfalt und redaktionsinterne Kritik aus, woraufhin die Süddeutsche Zeitung eine Klarstellung druckte.
Ob jemand, wie Heribert Prantl, der dem BVerfG so nahesteht, dessen Fehler überhaupt wahrnimmt? Sicher nicht.

Was auch immer es sei – Hochachtung, Unkenntnis oder Schlampigkeit – solcherlei Geisteshaltungen verhindern immer wieder eine fachgerechte Arbeit auf Seiten hochrangiger Vertreter herausragender Institutionen.

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